Lars Schäfers | 16. November 2020

Genome Editing in der Landwirtschaft

christlich-sozialethisch gesehen

Genmanipulation an Pflanzen ist ethisch gesehen ein heißes Eisen und gesellschaftlich hoch umstritten. Grüne Gentechnik ist aber auch ein aktuelles Zeichen der Zeit, ein verheißungsvolles wie ambivalentes Zukunftsthema, das katholische Soziallehre und christliche Sozialethik nicht ignorieren dürfen.

Erste Kriterien einer sozialethischen Annäherung an Genmais, Gensoja und Co. finden sich im Kompendium der Soziallehre der Kirche. Hier sind die Kernaussagen der kirchlichen Sozialverkündigung zu Fragen der Biotechnologie und ihrem Teilbereich der Gentechnik zu finden. Dabei können vier Aspekte der im Kompendium festgehaltenen ethischen Bewertung eine erste Orientierung geben:

  1. Menschliche Eingriffe in die Natur sind grundsätzlich zulässig: Es entspricht dem christlichen Schöpfungsverständnis, dass der Mensch in die Natur, einschließlich der anderen Lebewesen, modifizierend eingreifen darf, allerdings in verantwortungsvoller Weise! Das menschliche Eingreifen ist dann beklagenswert, wenn es den Lebewesen oder der Umwelt Schaden zufügt, doch es ist lobenswert, wenn es zu einer Verbesserung führt. Es wird daran erinnert, dass die Schöpfung ein Geschenk und eine Gabe Gottes an den Menschen ist, die einen freien und verantwortlichen Umgang erfordert.
  2. Dementsprechend hat der Mensch aus kirchlicher Sicht dezidiert den Auftrag zur Suche nach besseren bio- und gentechnischen Lösungen für Probleme insbesondere auf den Feldern der Ernährung und Gesundheit des Menschen.
  3. In verantwortungsvoller Weise geschieht dies aber nur, wenn nach dem Prinzip der Vorsorge Nutzen, Risiken und mögliche Folgen, auch Langzeitfolgen, sorgsam gegeneinander abgewogen werden.
  4. Und viertens: Gentechnik-Unternehmen müssen einer strengen Gemeinwohlverpflichtung unterliegen. Es darf den Unternehmen und den Forschungseinrichtungen, die sich der Erforschung und Herstellung kommerziell nutzbarer Gentechnikprodukte widmen, deshalb nicht allein um ihre an sich nicht unrechtmäßigen Gewinninteressen gehen. Dieser allgemeine wirtschaftsethische Grundsatz ist hier besonders wichtig, da es um die hohen und sensiblen Güter der Ernährung, der Gesundheit und des Umweltschutzes geht und die entsprechenden Unternehmen mit lebenden und leblosen Materialien wirtschaften, die der ganzen Menschheit als ihr Erbe gehören.

Nach kirchlicher Sozialverkündigung werden Bio- und Gentechnik also grundsätzlich für zulässig erachtet, zumindest sofern sie verantwortungsvoll, das Vorsorgeprinzip beachtend betrieben und in Wirtschaft und Forschung streng gemeinwohlverpflichtet erforscht und angewandt werden. Gentechnik ist also dann gut, wenn ihre Zwecke gut sind, und sie ist schlecht, wenn die Zwecke schlecht sind.

Seit den 1970er Jahren gibt es Techniken, mit denen direkter in das Genom von Organismen eingegriffen werden kann, die sogenannten Genscheren. Durch sie ist man seither weniger auf den Zufall angewiesen. Doch diese Techniken waren damals noch kompliziert und teuer; auch blieben ungewollte Veränderungen im Genom nicht aus. Mit Crispr/Cas gibt es nun aber eine wesentlich präzisere und effizientere Genschere. Genetisch sind die mit Crispr bearbeiteten Produkte von den traditionell durch Kreuzung gezüchteten Pflanzen nicht zu unterscheiden. Aber auch hier kann es zu negativen Konsequenzen, zu sogenannten off-target-Effekten und zu Langzeitfolgen kommen: Da die Genschere nach der direkten Anwendung in der Zelle verbleibt, kann sie hier quasi ein Eigenleben führen und weitere Schnitte vornehmen.

Als ethische Grundprämisse kann man jedoch festhalten: Je präziser die Methode, desto weniger negative Nebenwirkungen und Folgen und daher desto größer die ethische Unbedenklichkeit, zumindest unter diesem Aspekt. Aber Crispr/Cas kann allein wegen der bei dieser Technik nach wie vor möglichen off-target-Effekte keine gänzliche Unbedenklichkeit attestiert werden.

Dies gilt auch für eine genuin sozialethische Perspektive auf diese Technologie aus der Gerechtigkeitsperspektive. Christliche Sozialethik fragt nach der gerechten Gestaltung gesellschaftlicher Institutionen, Systeme und Strukturen sowie danach, wie diese gesellschaftlichen Bedingungen in gerechter Weise ein gutes Leben für die Menschen ermöglichen. Aus der Genomeditierung in der Landwirtschaft können sich Gerechtigkeitsprobleme auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Zusammenhängen ergeben. Ein paar Beispiele:

  1. Die Herstellung des Saatguts: Diese ist gerechtigkeitsrelevant, da die herstellende Industrie damit eine große Macht über die Produktion von Lebensmitteln gewinnt. Genome Editing mit Crispr/Cas wird als besonders unkompliziert und kostengünstig angepriesen. Dementsprechend macht es die landwirtschaftliche Produktion effizienter, was zu einer Senkung der Preise führen kann. Dadurch werden andere Produktionsmethoden vom Markt gedrängt, was sich wiederum negativ auf die bäuerlich organisierte Landwirtschaft auswirkt. Die meisten Bauern werden entsprechenden Sachverstand haben, um das hochwertigste Saatgut zu kaufen. Doch mit der Umstellung auf genmodifizierte Pflanzen verliert ihr Know How an Wert und sie werden nochmals abhängiger von den Saatgutherstellern. Besonders würde dies die Bauern in ärmeren Ländern treffen, wenn diese ihre Erzeugnisse an wohlhabende Länder verkaufen. Gegen die mit Crispr/Cas weiter optimierten Genpflanzen werden sie mit ihren traditionellen Produkten nicht wettbewerbsfähig sein. Stellen sie dann notgedrungen auf das genmanipulierte Saatgut um, sind sie damit der wissenschaftlichen Entwicklung und Patentierung der wohlhabenden Länder ausgeliefert. Wenn zudem die besagten Preissenkungen für Genlebensmittel eintreten, bedeutet dies auch weniger Einnahmen für die Bauern in den ärmeren Ländern. Aus Gerechtigkeitsperspektive werden hier also internationale politische Regelungen nötig. Ausgehend von der christlichen Option für die Armen ist die Perspektive der Bauern in den weniger entwickelten Ländern daher letztlich ethisch besonders relevant.
  1. Beispiel: Genetische Eingriffe können im Genom der Organismen Spuren hinterlassen, die in genetischen Analysen nicht eindeutig identifiziert werden können. Crispr/Cas ist in dieser Hinsicht aber eine sehr präzise Technik, denn sie hinterlässt im Idealfall keine Spuren am Genom. Das aber macht die Überprüfung der genetischen Eingriffe und die Unterscheidung genmanipulierter von nichtmanipulierten Produkten schwierig. Diese Schwierigkeiten bei der Identifizierung betreffen sowohl die regulierenden Behörden, die die Konsumenten schützen sollen, als auch die Hersteller, die ihre Produkte mit Patenten sichern möchten. Aus ethischer Sicht darf Konsumenten jedoch nicht verunmöglicht werden, über die Art und Weise der Herstellung der Lebensmittel transparent informiert zu werden. Auch wenn es um die besagten Werte des Wohls und der Integrität von Tieren geht, sollten Konsumenten durch Transparenz die Wahlfreiheit behalten dürfen, um diese Produkte nicht kaufen zu müssen. Dabei ist die Information darüber, ob ein Produkt mit oder ohne Gentechnik hergestellt wurde, zu undifferenziert. Lebensmittel könnten nämlich auch nur teilweise mit genmanipulierten Produkten und Zutaten hergestellt werden, weshalb eine differenzierte Kennzeichnung vonnöten ist. Dazu gehört auch eine transparente Einstufung, ob ein Produkt gesundheitlich unbedenklich ist oder nicht.

Es zeigt sich: Genomeditierung hat Auswirkungen auf globale Gerechtigkeitsbeziehungen. Crispr/Cas vereinfacht diese Genomeditierung noch einmal. Dabei bestärkt sie höchstwahrscheinlich besonders die großindustrielle Lebensmittelproduktion zu Lasten der Kleinbauern weltweit. Und mit Blick auf die Sicherung der Ernährung der Weltbevölkerung sollte es zwar kein Zurück von der industriellen Effizienz der Nahrungsmittelproduktion geben. Doch ein einseitig industriell-rationales Verständnis übersieht, dass es den Menschen dabei auch noch um andere Werte gehen kann. Das betrifft die Frage nach einer Kultur des Essens und Trinkens, die Beziehung der Ernährung zu Vorstellungen von einem guten Leben und auch zu Tradition, Religion und Glaube. Neben rationalen Kriterien und Bewertungsmaßstäben muss es in den ethischen Diskussionen um Genmais und Co. deshalb auch um Werte gehen, die auf dem Spiel stehen, die besonders geschützt werden sollten oder aber die für andere Werte nötigenfalls geopfert werden können.

Dies wirft ebenfalls Fragen in Bezug auf die Forschung an Crispr/Cas auf. Aus (rechts-)ethischer Sicht ist Forschungsfreiheit ein hohes Gut. Die Erforschung neuer Pflanzenzüchtungstechniken sei nach einem Gutachten des evangelischen Sozialethikers und ehemaligen Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, und seines Kollegen Matthias Braun „nicht nur ein legitimes, sondern gerade mit Blick auf die gesellschaftlichen Herausforderungen (Klimawandel, globale Bodenknappheit, Nahrungs- und Wassermangel) ein verantwortungsethisch begrüßenswertes Anliegen.“ Doch er räumt ebenso ein, dass die Forschungsfreiheit auf diesem Feld „in einem ambivalenten Spannungsverhältnis zu anderen Grundrechtsansprüchen wie denen des Lebens- und Gesundheitsschutzes“ stehe. Da wo die Forschung mit begründeter Prognose darauf abzielt, Lebens- und Gesundheitsschutz bei genmanipulierten Produkten zu verbessern, seien diese ethisch verantwortbar und sogar als hochrangig einzustufen, so die Gutachter. Ein Freibrief für Forschung, Entwicklung und Anwendung sei dies aber nicht, denn jede Innovation muss nach dem Vorsorgeprinzip umfassend auf ihre potenziellen Risiken überprüft werden. Pauschale Verbote der Gen-Editierungsforschung verstoßen indessen gegen die Forschungsfreiheit.

Der Sozial- und Umweltethiker Markus Vogt sieht daher in Innovation und Vorsorge zwei ganz zentrale Begriffe beim Thema Genom-Editierung in der Landwirtschaft. Seiner Auffassung zufolge steht dabei eine sehr grundlegende Frage zur Debatte, die der Philosoph Hans Jonas in seinem Werk „Prinzip Verantwortung“ bereits 1979 angestoßen hat: Können wir nach dem neuzeitlichen Fortschritts- und Hoffnungsprinzip darauf vertrauen, dass wir für die immer komplexeren, nur begrenzt vorhersehbaren und steuerbaren Nebenfolgen unseres Fortschrittsstrebens technische und organisatorische Lösungen finden werden? Oder erfordert „das zunehmende Übergewicht der Wirkungsgewalt über das Vorwissen“ ein grundlegenderes Umdenken? Jonas schlägt als neue Entscheidungsmaxime die „Heuristik der Furcht“, also die Orientierung am Worst-Case-Szenario vor. Das bedeutet, dass im Zweifelsfall von der Unheilsprognose auszugehen sei. Vogt sieht darin jedoch eine zu defensive Haltung. Er plädiert daher grundsätzlich für eine ethische Wertschätzung der Innovation als eine wichtige Ressource für Zukunftsfähigkeit. Die Technikgeschichte zeige nämlich, dass die Lösung von grundlegenden Entwicklungs- und Knappheitsproblemen in der überwiegenden Zahl durch Innovationen zustande kam, die zuvor oft nicht absehbar waren.

Dabei dürfe das Innovationsprinzip auf dem sensiblen Feld der Bioetechnologie jedoch das Vorsorgeprinzip nicht aushöhlen. Das nicht unbegründete Misstrauen der Menschen gegenüber gentechnischen Innovationen kann nur gemindert werden, wenn ökologische und soziale Ziele von Anfang an in den Innovationsprozess einbezogen werden. Dann ist bei dem Thema eine Verantwortungs- und Risiko-Ethik einer reinen Gesinnungsethik vorzuziehen. Wenn es stimmen sollte, dass Genome Editing in der Landwirtschaft Chancen, etwa im Hinblick auf die Sicherung der Welternährung, bietet, werden diese nur dann überwiegen, wenn es gelingt, kontrollierbare und damit verantwortbare Regelungen und Rahmenbedingungen für ihren Einsatz einzuführen.

In diesem Sinne warnt auch Peter Dabrock aus ausdrücklich ethischer Perspektive vor einer Moralisierung der Debatten um Genome Editing in der Landwirtschaft. Ethik, gerade konkrete Ethik, solle ihm zufolge vielmehr beschreibende Analysen bereitstellen sowie normative Kriterien und Bewertungsmaßstäbe entwickeln. Diese dienen dann einer Güterabwägung bei nur begrenzt vorausberechenbaren Entwicklungen und Zusammenhängen in Bezug auf die grüne Gentechnik. Deshalb sollte das Vorsorgeprinzip, bei aller Wertschätzung für Innovation, vorrangig bleiben. Das Thema Genpflanzen bleibt letztlich ein ethisch heikles Feld.

Der Verfasser

Mag. theol. Lars Schäfers ist Wissenschaftlicher Referent der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Mönchengladbach sowie Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Christliche Gesellschaftslehre der Bonner Katholisch-Theologischen Fakultät.